Wasser im Westen

Organisatoren
Brauweiler Kreis für Landes- und Zeitgeschichte e. V.
Ort
digital (Gelsenkirchen)
Land
Deutschland
Vom - Bis
05.03.2021 -
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Von
Katrin Wülfing, Abt. Duisburg / Mülheim a. d. Ruhr, Hochschule für Polizei und öffentliche Verwaltung NRW

Gewässer und ihre Nutzung bewegten (und bewegen) seit jeher die Menschen. Verschiedenste Fragen, etwa der lebensnotwendigen Speicherung und Verteilung von Wasser, des Transports und der Entsorgung, aber auch des Schutzes vor Bedrohungen durch Wasser, galt und gilt es zu diskutieren und zu lösen. Im Fokus der diesjährigen Tagung des Brauweiler Kreises für Landes- und Zeitgeschichte e. V. stand die Nutzungsgeschichte von Gewässern in Nordrhein-Westfalen. Zum Auftakt der Tagung begrüßte SABINE MECKING (Marburg) als Vorsitzende des Brauweiler Kreises die Anwesenden und führte in das Tagungsthema „Wasser im Westen“ ein. Dabei nahm sie Bezug auf die Bedeutung von Gewässern in Nordrhein-Westfalen und ihre vielfältige Nutzung durch die Menschen. In der anschließenden Keynote unterstrich DIRK VAN LAAK (Leipzig) die Relevanz wassergeschichtlicher Perspektiven und skizzierte die verschiedenen Bedeutungsdimensionen des Wassers. Von der Vormoderne bis zur Gegenwart könne Wasser als ambivalente Ressource betrachtet werden, die in wechselseitigem Verhältnis zu den Menschen stand und steht. Neben der Bedeutung für die Siedlungsgeschichte, der wirtschaftlichen, sozialen und vernetzenden Funktion von Flüssen und temporären Romantisierungen betrachtete er Gewässer auch hinsichtlich ihres Konfliktpotenzials. Verschiedene und sich wandelnde Perspektiven prägten, dies stellte der Referent resümierend fest, den Umgang, die Nutzung und die Wahrnehmung von Meeren und Seen, Flüssen und Bächen. Deutlich zeigte sich – auch in der anschließenden Diskussion –, dass die Betrachtung von Gewässern aus wissenschaftlicher Sicht als vergleichsweise neues Forschungsgebiet zahlreiche inter- und transdisziplinäre Erkenntnisse liefern kann.

Die erste Sektion zum Thema „Flüsse“ wurde von Georg Mölich (Köln) moderiert. Zunächst ging RALF BANKEN (Frankfurt a. M.) der Frage nach, inwieweit es sich beim Rhein um eine „natürliche“ Infrastruktur handele. Er gab einen Überblick über die verschiedenen infrastrukturellen Funktionen des Rheines im Laufe der Geschichte, die von der Nutzung des Flusses als Verkehrsweg, Abwasserkanal und Energielieferant bis hin zur Freizeitgestaltung und Erholung reichten. Vor dem Hintergrund der technischen Entwicklungen und – daraus resultierend – den Umformungen des Rheines durch Anwohner, Wasserbauverwaltung und Transportunternehmen kam der Referent schließlich zu dem Ergebnis, dass von einer „natürlichen“ Prägung des Rheines nicht auszugehen sei. Er betonte in diesem Kontext insbesondere die Abhängigkeit der Infrastruktur des Rheines von den Bedürfnissen der Binnenschifffahrt, die stets in Konkurrenz zur Eisenbahn gestanden habe. Wenngleich der Rhein als eine der wichtigsten Wasserstraßen Europas betrachtet werden könne, weise die Geschichte des Rheintransportes noch zahlreiche Forschungsdesiderate auf, wie der Referent abschließend betonte.

Im anschließenden Vortrag befasste sich WIEBKE NEUSER (Münster) mit der Bocholter Aa. Inwieweit sich seit den 1950er-Jahren die wachsende Bedeutung von Natur- und Umweltschutz in Bezug auf den Umgang mit der Aa widerspiegelte, war Gegenstand ihrer Betrachtungen. Anhand von politischen Entscheidungen, Gesetzen und Vorgaben arbeitete sie den Wandel der Aa „von abweisend zu einladend“ heraus. Dabei zeigte sich, dass sich allgemeine historische Entwicklungen der deutschen Umweltpolitik auf die Aa übertragen lassen. Auf das in den 1950er-Jahren prägende Desinteresse an Maßnahmen zum Umweltschutz und wirtschaftlichen Erwägungen, die primär Hochwasserschutz und Landwirtschaft berücksichtigten, sei, so die Referentin, in den 1970er-Jahren ein erstes Umdenken erfolgt. Motiviert durch Vorstöße der EU zum Natur- und Umweltschutz und der „Entdeckung“ der Aa als Naherholungsgebiet seien von bundesdeutscher Seite erste Gesetze zum Schutz von Gewässern erlassen worden, seit den 1980er-Jahren habe dann die Renaturierung von Teilabschnitten des Flusses begonnen. Europäische Vorgaben hätten in den 1990er-Jahren maßgeblich auf den Umgang mit der Aa gewirkt, ebenso die verstärkte Berücksichtigung von umweltpolitischen Erwägungen.

Nach der Mittagspause widmete sich die zweite Sektion den Kanälen im Westen. Die Moderation übernahm Christoph Nonn (Düsseldorf). OLAF SCHMIDT-RUTSCH (Dortmund) zeichnete zunächst die Geschichte des Rhein-Herne-Kanals als „Pulsader des Ruhrgebiets“ nach. Um fehlende Transportwege der florierenden Bergbau- und Schwerindustrie auszugleichen und Abhängigkeiten von der Eisenbahn zu mindern, seien bereits im 19. Jahrhundert Pläne und Ideen für den Kanalbau entwickelt worden. Auf Grund verschiedener Faktoren – Gesetzesgrundlagen, Konflikte zwischen privaten und staatlichen Akteuren, begrenzte technische Realisierungsmöglichkeiten etc. – habe sich der Bau des Rhein-Herne-Kanals immer wieder verzögert. Der schließlich 1914 eingeweihte Kanal habe als modern gegolten und sei besonders auf die Bedürfnisse des Bergbaus abgestimmt gewesen. Der Referent betonte in seinem Vortrag abschließend die durch den Strukturwandel entstandenen Leerräume und die damit einhergehenden Überlegungen für eine Umnutzung des Rhein-Herne-Kanals, etwa als „Kulturkanal“.

LINA SCHRÖDER (Würzburg) analysierte in ihrem Vortrag dann die Diskussion um den Bau des Rhein-Maas-Schelde-Kanals und ging der Frage nach, warum die deutsche Binnenschifffahrt an der Anlegung des Kanals kein Interesse hatte. Unter Einbeziehung von Niklas Luhmanns Differenzierungs- und Medientheorie betrachtete sie zunächst in einem historischen Abriss die Debatte, die in rund 360 Jahren in mehreren Phasen verlief. Sie stellte darauf aufbauend die These auf, dass die Binnenschifffahrt als Teil des Verkehrssystems entsprechend ihrer Funktion über den binären Code „fließen / nicht fließen“ kommuniziere. Die Binnenschifffahrt habe den Bau des Kanals abgelehnt, weil ein Fließen nach ihrem Verständnis gegeben war, die Notwendigkeit eines weiteren Verkehrsweges also nicht bestand und andere Erwägungen – bspw. die Wirtschaft des Umlandes betreffend – ausgeblendet worden seien. Die Referentin verband diesen Gedanken mit der zunehmenden funktionalen Ausdifferenzierung der Gesellschaft unter der Prämisse der Gleichheit und der Inklusion von Menschen in verschiedene Funktionssysteme.

Die dritte Sektion am Nachmittag zum Thema „Wasserwirtschaft“ wurde von Markus Köster (Münster) moderiert. Mit der bislang in der Forschung kaum beachteten Talsperrenfischerei befasste sich CHRISTIAN ZUMBRÄGEL (Berlin). Anhand westdeutscher Talsperren zu Zeiten des Staudammbooms (1880 bis 1930) rückte er in seinem Beitrag Funktionsanspruch und -realität der Anlagen in den Fokus. Als Kompensationsflächen für verschmutzte und unbrauchbare Flüsse sei die Nutzung von Talsperren für Fischereizwecke insbesondere im industriell geprägten Ruhrgebiet von Interesse gewesen. Dennoch sei eine solche Nutzung die Ausnahme geblieben, wie der Referent herausstellte. Die Gründe dafür suchte er einerseits in fehlenden Kenntnissen über Öko-Systeme und Fischereipraxis und andererseits im Spannungsverhältnis zur Hauptnutzung der Stauseen, die sich nicht mit Fischerei in Einklang habe bringen lassen. Aufgezeigt wurden resümierend auch die Verflechtungen der Talsperrenfischerei mit dem ökologischen, ökonomischen und gesellschaftlichen Umfeld.

Im abschließenden Vortrag referierte CHRISTOPHER KIRCHBERG (Bochum) zu Emschergenossenschaft und Lippeverband im Nationalsozialismus. Er formulierte die These einer doppelten Spezifität von Abwasser als wichtiger Ressource zur Gewährleistung einer konstanten Entwässerung und Hygiene und der Besonderheit des Montan-Standorts Ruhrgebiet, die zusammen dazu führten, dass die beiden Wasser- und Bodenverbände im Nationalsozialismus einen vergleichsweise hohen Grad an Autonomie – und damit Handlungsspielräume – behalten konnten. Gleichwohl, so betonte der Referent, habe es sich bei der Emschergenossenschaft und dem Lippeverband nicht um widerständige Organisationen gehandelt. Im Gegenteil hätten beide Verbände am propagierten Bild der NS-Volksgemeinschaft mitgewirkt, Mitarbeiter auf Grundlage des „Berufsbeamtengesetzes“ entlassen, seit Kriegsbeginn Zwangsarbeiter beschäftigt und damit letztlich systemstabilisierend gewirkt.

Die verschiedenen Beiträge zeigten mit ihren unterschiedlichen Perspektiven und Zugängen zum Thema „Wasser im Westen“ die Vielschichtigkeit des Themas und seine Bedeutung für Geschichte und Gegenwart auf. Das wechselseitige Zusammenspiel von Gesellschaft, Wirtschaft, Politik, Kultur und Wasser lässt sich, je nach fachwissenschaftlichem Zugang, Quellen und eruiertem Zeitfenster, multiperspektivisch betrachten. Mit dieser wassergeschichtlichen Perspektive können unterschiedlichste Rückschlüsse, etwa über gesellschaftliche und historische Entwicklungen und Zäsuren, Mentalitäten, Konflikte und Dynamiken im deutschen Westen (und natürlich darüber hinaus) gezogen werden und entstehen Ansätze für weitere wissenschaftliche Betrachtungen.

Konferenzübersicht:

Einführung und Moderation: Sabine Mecking (Marburg)

Dirk van Laak (Leipzig): Alles im Fluss an Rhein und Ruhr? Wassergeschichtliche Perspektiven auf den deutschen Westen

Sektion I – Flüsse

Moderation: Georg Mölich (Köln)

Ralf Banken (Frankfurt a.M.): Der Rhein als „natürliche“ Infrastruktur?

Wiebke Neuser (Münster): Bocholter Aa – abweisend und einladend? Umwelthistorische Perspektiven auf einen Fluss im Westmünsterland

Sektion II – Kanäle

Moderation: Christoph Nonn (Düsseldorf)

Olaf Schmidt-Rutsch (Dortmund): Schlagader des Ruhrgebiets – Zur Geschichte des Rhein-Herne-Kanals

Lina Schröder (Würzburg): Warum war die deutsche Binnenschifffahrt am Rhein-Maas-Schelde-Kanal nicht interessiert? Infrastruktur aus einer systemtheoretischen Perspektive

Sektion III – Wasserwirtschaft

Moderation: Markus Köster (Münster)

Christian Zumbrägel (Berlin): Zwischen Talsperrenlachsen und Fischunkraut. Die Fischereiwirtschaft auf westdeutschen Talsperren zu Zeiten des Staudammbooms (1880– 1930)

Christopher Kirchberger (Bochum): Vorflut und Volksgemeinschaft. Emschergenossenschaft und Lippeverband im Nationalsozialismus


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